Eine morbide Gratwanderung

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Der Förderverein Historischer Waldbachfriedhof steckt viel Geld und Liebe zum Detail in Wiederherstellung und Erhalt.

Freilich ist Cornelia Kalt-Jopen Vorsitzende des Fördervereins  Historischer Waldbachfriedhof und zudem eine der Initiatorinnen des  Freundeskreises Stadtbibliothek. Daher fügte sich etwas zusammen, was  eigentlich nicht ganz passt – Friedhof und Leseabend Der schwül-heiße  Sommerabend war vielleicht nicht so richtig geeignet, sich dem Thema Tod und Vergänglichkeit literarisch zu nähern. Doch die Friedhofskapelle  füllte sich mit etwa 50 Gästen, es mussten sogar zusätzliche Stühle  aufgestellt werden.

Inmitten der ungewöhnlichen Kulisse saßen vier Erzähler am Lesepult,  die Cornelia Kalt-Jopen mit sicherem Gespür eingeladen hatte. Ihre  Vorgabe war, etwas aus ganz verschiedenen Blickwinkeln zum Leben und zum Sterben zu zitieren. Jutta Collmann hatte sich den schwäbischen  Schriftsteller Thaddäus Troll vorgenommen. Aus einer Reihe von Kramberg, der hundert Autoren gebeten hatte, ihren eigenen Nachruf zu verfassen,  war Troll geradezu prädestiniert, dem Beerdigungskult seiner  “pietistisch verseuchten schwäbischen Ahnen” einen ironischen Stich zu  versetzen. Jutta Collmann, Vorsitzende des Freundeskreises der  Stadtbibliothek, las kühl, aber mit verhaltener Freude die  ”anlässlichen” Formulierungen des Altschwaben Droll. Lange Sätze  übrigens, bei denen es ihr hervorragend gelang, die Spannung zu halten.

Ein wenig leichter hatte es Regina Heilig. Sie sei von Kalt-Jopen  angefragt worden, “etwas Launiges” zum Thema beizusteuern. Die  Geschichte vom Brandner Kaspar, der mit dem Tod feilscht, ihn beim  Schafskopfen betrügt und wiederum vom Tod mit List und viel  Kirschbranntwein dann doch ins Paradies kutschiert wird, brachte das  Publikum zum Schmunzeln. Weil die Kabarettistin Regina Heilig  schauspielern und sprechsingen kann. Letzteres bewies sie mit Witz und  Schlitzohrigkeit auch beim Lied vom Tod der bekannten Band Erste  Allgemeine Verunsicherung mit dem Titel ”Grüß Gott, i bin der Tod”.

Klaus-Peter Stoll eröffnete nach der Pause mit Partien aus dem Roman  ”Halbschatten” von Uwe Timm. Auf dem Invaliden-Friedhof in Berlin führt  der ”Graue” durch die Gräberstadt in der sich letztlich alles  versammelt. Die, die getötet haben und die, die getötet wurden. Ein Ort, der Gewalt anzieht, schreibt Timm. Stoll erinnerte sich an den  Schriftzug, den er während seines Medizinstudiums in der Pathologie  gelesen hatte. ”Hier gefällt es dem Tod, das Leben zu leben”. Schaurig,  düster die Stimmung in der Friedhofskapelle am Waldbach.

Daher kam das Vorleseangebot von Victor Schreiner gerade recht, die  Atmosphäre ein wenig aufzulockern. Er hatte sich die ”Alte Liebe” von  Elke Heidenreich und Bernd Schroeder ausgesucht. Mit Harry, Lore und  Gloria entspann sich eine Alltagsgeschichte, die traurig und komisch  zugleich ist. ”Herzstillstand” und ”Ach Lore, warum bist du jetzt nicht  da? Du hast das letzte Wort, das wolltest du doch immer haben”, klagt  der Witwer. Das letzte Wort hatte Gastgeberin Cornelia Kalt-Jopen.

Sie schloss mit einem Heinz-Erhardt Gedicht: ”Es scheint, dass hier  nur Gute sterben, die Schlechten bleiben alle leben.” Vergänglich und  besinnlich war dieser Leseabend, sicher eine Gratwanderung, die jedoch  zielsicher zu einer ganz eigenen Inszenierung geführt worden ist.